Thomas von Bogyay und die Erneuerungsversuche der
Hungarologie nach dem Zweiten Weltkrieg

(Arbeitstitel)

Bearbeiter: Zsolt K. Lengyel

Eine Projektskizze

Der 1932 mit einer kunstsoziologischen Arbeit in Budapest promovierte Thomas von Bogyay (9. April 1909 – 8. Februar 1994) wandte sich nach ersten Arbeiten über den Barock zunehmend der Kunst des Mittelalters, insbesondere jener der Árpádenzeit zu. Seine Laufbahn als Kunsthistoriker drohte, ein jähes Ende zu nehmen, als ihn 1945 die Kriegswirren nach Süddeutschland verschlugen. Er blieb zunächst wider Willen, dann – nach der kommunistischen Machtübernahme in Ungarn – notgedrungen im bayerischen, bald Münchener Exil. Der Schock, ungewollt in eine fremde Umgebung geraten zu sein, sei – wie er in einer seiner autobiographischen Aufzeichnungen darlegt – allmählich der Zuversicht gewichen, seine Forschungsarbeit sinnvoll und über die Kunstgeschichte hinaus fortsetzen zu können.

Bei der Ausweitung seines wissenschaftlichen Interesses auf die Hungarologie als interdisziplinäre Regionalkunde ließ sich Bogyay vom situationsbedingt neuen Anspruch leiten, Themen der ungarischen Geistes- und Gesellschaftswissenschaft vor westlicher Leserschaft im beziehungsgeschichtlichen Geflecht zu bearbeiten und dabei gegebenenfalls Berichtigungen am allgemeinhistorischen Ungarn-Bild vorzunehmen. Diese persönliche Neumotivierung sei ihm, so sein zitierter Rückblick, schon deshalb nicht sonderlich schwer gefallen, weil er seit seinen Studienjahren stets auch außerungarische Fachprobleme verfolgt und über eine Reihe von Auslandskontakten verfügt habe. Im Gegensatz zu vielen seiner Schicksalsgenossen im Exil faßte Bogyay jedenfalls auffallend leicht und schnell Fuß im westlichen Wissenschaftsleben.

Das vorliegende Projekt, das einen Aufsatz von etwa 50-60 Seiten hervorzubringen beabsichtigt, soll – unter angemessener Berücksichtigung der frühen Schaffensphase – die nach dem Zweiten Weltkrieg neu anlaufende wissenschaftliche Tätigkeit Bogyays nicht nur im Hinblick auf deren etwaigen Wirkungen auf internationaler Ebene bewerten. Wegen einer bestimmten Rahmenbedingung persönlicher Art muß es unter dem Hauptgesichtspunkt der versuchten doppelten Integration ungarnkundlicher Themen und Sichtweisen vorgehen:

1. Aus existentiellen Gründen war Bogyay genötigt, 1952 eine Stelle als Redakteur des Münchener Senders Freies Europa anzunehmen, sich also hauptberuflich dem durchpolitisierten Medienkampf gegen das Einparteiensystem Ungarns anzuschließen. Aus dem Auftrag der amerikanischen Einrichtung des Kalten Krieges, der nicht gerade auf einen Mittelalter-Fachmann zugeschnitten war, machte er aber als Wissenschaftler das Beste: 22 Jahre lang, bis zu seiner Pensionierung im April 1974, schrieb er unter dem Pseudonym Ákos Kőszegi vornehmlich kulturelle Sendungen, darunter zwei historische Reihen zur Geschichte Ungarns. Deren unveröffentlichte Manuskripte, die vollständig im Archiv des Ungarischen Instituts München aufbewahrt werden, bieten eine bisher unbearbeitete Quellengrundlage für die Frage nach seinem Beitrag zur Korrektur, mithin zur Erneuerung des lange Jahre hindurch parteiideologisch manipulierten Geschichtsbildes in Ungarn – sowie eventuell auch in dem vom Sender Freies Europa insgesamt anvisierten ungarischen Sprachraum.

Anhand der Korrespondenz des Autors mit Fachkollegen in Ungarn, deren zahlreichen Stücke im gleichen Nachlaß vorliegen, sowie einschlägiger Grundwerke der ungarischen Geschichtsschreibung soll der Stellenwert der Bogyayschen Standpunkte vornehmlich in der Historiographie Ungarns beleuchtet werden. In dieser rezeptionsgeschichtlichen Dimension werden die seit den achtziger Jahren in wachsender Zahl auch in Ungarn veröffentlichten Arbeiten Bogyays mit heranzuziehen sein.

2. Der Anspruch des Mediävisten Bogyay auf Grundlagenforschung und wissenschaftliche Aufklärungsarbeit schlug sich nach 1945 in westlicher Richtung auf zweierlei Weise nieder: in Büchern und Zeitschriftenbeiträgen, die er gleichsam als „Privatgelehrter" für verschiedene Verlage und Fachorgane innerhalb und außerhalb Deutschlands verfaßte, sowie in der Gründung und Leitung des Ungarischen Instituts München (UIM), dem er die Aufgabe verlieh, den region- und disziplinübergreifenden Charakter der Hungarologie auszuformen und in der Öffentlichkeit durch die beiden Institutsreihen ,Studia Hungarica’ (1964 ff.) und ,Ungarn-Jahrbuch’ (1969 ff.) international zu dokumentieren. Reichweite, Intensität und Widerhall dieser Bemühung soll dieses Projekt nicht nur anhand der erwähnten Publikationsreihen, sondern erstmalig auch unter gezielter Auswertung jener Stücke des im UIM betreuten Bogyay-Nachlasses erfassen, in denen sich die Verbindungen des Erblassers mit der nichtungarischen Fachwelt spiegeln.

Die Frage nach der „westlichen" Rezeption des Werkes ist mit jener nach der „östlichen" schon deshalb eng verbunden, weil die zu untersuchenden Titel häufig in beiden Richtungen die gleichen oder auf einunddasselbe Konzept zurückzuführen sind, wie z. B. die „Grundzüge der Geschichte Ungarns" (Darmstadt, vier Auflagen zwischen 1967 und 1990), die eine systematisierte Fassung der oben erwähnten ungarischsprachigen Hörfunkreihe darstellen. In diesem Themenblock ist aber zusätzlich dem Umfang und der Qualität jenes Impulses nachzuspüren, den Bogyay aus und mit dem UIM für eine methodische Pluralisierung der teilweise heute noch disziplinverengten Ungarkunde im Rahmen der deutschsprachigen Südosteuropaforschung auszustoßen befleißigt war.

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